Transformationale Objekte und Heizungsenergie - Der Wohlfuehler

by Matthias Laschke, Kai Eckoldt, Marc Hassenzahl & Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie | 2016

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Es gibt Menschen, die haben trotz identischer Umstände (Baujahr des Hauses, Isolierung, Heizungsanlage, etc.) einen deutlich geringeren Energieverbrauch beim Heizen als andere. Warum ist das so? Ein Grund sind gute Praktiken. Im vorliegenden Projekt galt es zielführende Praktiken zu identifizieren und anderen Menschen so nahezulegen, damit sie diese in ihren Alltag integrieren. Dabei sollen Menschen aber weder bevormundet oder bestraft, noch die Umgebung technisch automatisiert werden. Eine technische Automatisierung würde keine Handlungsweisen vändern, sondern eher bevormunden und den Menschen aus dem Loop nehmen.

Es geht vielmehr um Freude, Selbsterkenntnis und Wohlbefinden. Hierbei sind die täglichen Routinen/Handlungsweisen von Interesse. Sie ermöglichen das Einsparen von Heizenergie ohne eine technologische Änderung, sondern durch eine Handlungsänderung. Hierbei standen zwei Fragen im Vordergrund: Welche Praktiken führen zu einem geringeren Energieverbrauch beim Heizen und wie kann man diese Praktiken jeweils in einem Objekt materialisieren und Menschen nahelegen? Eine zielführende Praktik zum einsparen von Heizungsenergie ist das richte Lüften. Beim lüften sollte die Heizung immer ausgeschaltet sein und man sollte nicht länger als  5-10 Minuten Stoßlüften. Ansonsten kühlen Wände und Mobiliar aus und müssen erst wieder aufgeheizt werden. Außerdem sollte man in der Nacht die Raumtemperatur nicht unter 18 Grad Celsius fallen lassen, da man mehr Energie zum erneuten Heizen benötigt als man zuvor einspart. All diese Praktiken lassen sich von Hausbewohnern selbst anwenden. Es bedarf keiner Technologie oder baulichen Maßnahme. Doch leichter gesagt als getan. Routinen sind leider nicht umsonst Routinen. 

Das Feedback-Design "Wohlfühler" setzt genau hier es. Die Grundlage für die Entwicklung des "Wohlfühlers" waren die Erkenntnisse einer Selbstexploration und die Analyse vorangegangener Interviews hinsichtlich bestehender Heiz- und Lüftgewohnheiten. Mithilfe von Erkenntnissen der Ästhetik der Reibung (Hassenzahl & Laschke, 2015) wurde aus einer Reihe von Konzeptentwürfen, die durch vorherige Untersuchungen informiert wurden, der "Wohlfühler" entwickelt, der motivierende und intervenierende Elemente eines persuasiven und friktionellen, irritierendem oder transformationalen Feedback-Gerätes vereint (Hassenzahl & Laschke, 2015).

Das Feedback-Design "Wohlfühler" informiert graphisch über Raumtemperatur und Luftfeuchte, es unterbricht das unreflektierte und nicht zielführende Lüften, obwohl die Heizung noch eingeschaltet ist, es gibt charmante Hinweise zu energetisch sinnvollerem Heizverhalten und stupst den Nutzer so in ein Raumklima, das eine Aushandlung zwischen persönlichem Wohlbefinden und allgemeinen, energetischen Vorteilen sucht. Theoretisch ermöglicht die Kombination aus verschiedenen Feedback-Ebenen (motivierend und streng, allgemeine und individuelle Vorteile) eine möglichst effektive Veränderung von Handlungsweisen unter Berücksichtigung des subjektiven Wohlbefindens von Menschen.

Aufbau des Prototypens an einem Fenster und einer Heizung.

Die Designrationalen

Der Wohlfühler vereint unterschiedlicher Arten von Interventionen, seien sie transformational, persuasiv oder rein rhetorisch. Hierbei ist nicht Ziel zu testen, welche Art der Intervention besser ist, sondern eher vergleichbar einer „Therapie“, in der verschiedene Maßnahmen zusammengenommen werden, mit dem Ziel, das diese als gemeinsames „Treatment“ funktionieren.

Die Fenstersperre – Die Sperre macht darauf aufmerksam, dass man bevor man das Fenster öffnet, zuerst am Thermostat die Heizung ausschaltet. Sie macht das Lüftungsverhalten bewusster und verdeutlicht die Verbindung zwischen Fenster und Heizkörper. Die Fenstersperre versteht sich als ein transformationales Objekt, da sie eine Haltung vertritt und hierbei bewusst eine Reibung erzeugt, indem sie gefühlt den Zugang zum Fenstergriff versperrt. Da die Sperre aus einem sehr flexiblen Material besteht, kann sie auch einfach übergangen werden und klappt beiseite, wenn man trotz eingeschalteter Heizung das Fenster trotzdem öffnet.

Beeinflussbare Größe – Die Anzeige der Lüftungszeit und der Thermostatposition sind klassische Feedback-Mechanismen, die die Gewahrwerdung fördern. Insbesondere die Lüftungszeit ist häufig nicht nachzuvollziehen. Niemand schaut auf die Uhr, wenn er ein Fenster öffnet.

Der Wohlfühlkorridor – Die reduzierte Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsanzeige dient der Information. Im Gegensatz zu einer klassischen Anzeige, wie z.B. die eines Thermometers, machen die Balkenanzeigen eine Vorgabe, indem sie eine Mitte besitzen. Die Mitte, als etwas das angestrebt wird, bildet eine milde Form des „Nudgings“. Aufgrund dieser Standardvoreinstellung der angemessenen Temperatur nimmt der Korridor eine Haltung ein. Die Temperaturanzeige reicht von 18°C (unten) bis 23°C (oben). Die Luftfeuchtigkeitsanzeigen ist verdreht und reicht von 65% (unten) bis 35% (oben). Grund für die auf den Kopf gestellte Luftfeuchtigkeitsanzeige ist das Zusammenspiel von hohen Temperaturen und einer geringen Luftfeuchtigkeit. Beide Anzeigen geben keine nominelle Rückmeldung über ihren aktuellen Wert. Anstatt bestimmten Zahlen zu genügen, soll der Nutzer in einen Dialog mit dem Gerät und seinem eigenen Wohlfühlklima eintreten.

Die Alarmanzeige – Nur im Falle eines Alarms erhält man eine exaktere, nominelle Rückmeldung über Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Doch die Anzeige besteht nicht nur aus einem Alarm, der einen kritischen Zustand aufzeigt, sondern beinhaltet einen „Spruch“, welcher gleichzeitig eine ideale Handlung vorgibt und den sozialen Prozess unterstützt.


Konfrontation

Wohnküche von T1 und T2 mit aufgestelltem Prototypen.

Wohnküche von T1 und T2 mit aufgestelltem Prototypen.

Studie zur Untersuchung des "Wohlfuehlers"

Der Frischluft liebende Bautechniker und der froestelnde Gestalter

Die beiden Teilnehmer 1 und 2 im Gespräch.

Die beiden Teilnehmer 1 und 2 im Gespräch.

Der fröstelnde Gestalter. Wenn er in der Wohnküche sitzt, schaltet er als erste die Heizung ein.

Der fröstelnde Gestalter. Wenn er in der Wohnküche sitzt, schaltet er als erste die Heizung ein.

Die Teilnehmer – T1 ist 31 Jahre und arbeitet als Baukontrolleur im Bauamt. Sein Lebensgefährte T2 (30 Jahre) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität.

Der Ort – Gemeinsam bewohnen sie eine 92 Quadratmeter große Eigentumswohnung in einem Mehrfamilienhaus in der 1910 erbauten Siedlung Luisenhof in Essen. Der Mittelpunkt der Wohnung in Form des Ortes an dem sich die Bewohner vorwiegend aufhalten ist die Wohnküche. Diese dient neben der Zubereitung des Essens als der „Sozialraum“ der Wohnung. Sie fungiert als Hauptaufenthaltsort, wenn Freunde oder Familie zu Besuch sind. Drüber hinaus dient der Raum als Arbeitszimmer und verfügt über einen kleinen Schreibtisch mit einem Computer.

Der Tagesablauf – Unter der Woche wird der Raum erst nach der Arbeit präsent. In der Regel ist T1 derjenige, der zuerst von der Arbeit nach Hause kommt. Gewöhnlich nimmt er ein spätes Mittagessen ein. Die Zubereitung des Mittagessens besteht in der Regel darin, dass er sich eine zuvor gekochte Speise noch einmal aufwärmt. Sollten keine Besorgungen anstehen, so bearbeitet er seine Lehrgangsunterlagen seines Fernstudiums am Schreibtisch. T2 kommt gewöhnlich am späten Nachmittag nach Hause. Beide schätzen das anschließende Abendessen, da es die einzige gemeinsame Mahlzeit am Tag ist. Abgesehen von dem Fall das Freunde zu Besuch sind, findet der Ausklang des Abends beim gemeinsamen Ausspannen im Wohnzimmer statt.

Das unterschiedliche Wohlbefinden:

Der Konflikt T1: »Ich fühle mich dann körperlich nicht wohl, wenn es mir zu warm ist. Ich fang dann immer an zu schwitzen.« Die Teilnehmer besitzen bei gleicher Aktivität ein sehr unterschiedliches subjektives Wärmeempfinden. T1 fühlt sich in einem zu warmen Raum körperlich unwohl. Er bezeichnet sich selbst, als jemanden der schnell dazu neigt zu schwitzen. Aus diesem Grund bevorzugt er eine kühlere Raumtemperatur. T2: »Mir ist meist zu kalt. Dann gehe ich und dreh noch die Heizung weiter auf, … weil ich habe ja schon einen dicken Pulli an.« T2 bevorzugt eine wärmere Raumtemperatur. Ein längerer Aufenthalt im Raum mit der von T1 bevorzugten Raumtemperatur erzeugt bei ihm das Gefühl, innerlich durchgefroren zu sein. Die Teilnehmer versuchen die - gemeinsam erlebten - Behaglichkeitsstörungen durch jeweils angepasste Kleidung auszugleichen.

Der Frischluft liebende Bautechniker. Er sitzt am liebsten mit geöffnetem Fenster in der Küche.

Der Frischluft liebende Bautechniker. Er sitzt am liebsten mit geöffnetem Fenster in der Küche.

Ursachen für den Konflikt:

Der fehlende Dialog – T2: »Erst fällt mir das gar nicht auf und dann sehe ich, dass Er alle Fenster aufgerissen hat. Das ist auf jeden Fall auch so ein bisschen ein Streitpunkt bei uns.« T1: »Wir reden da nicht so stark drüber … eigentlich mach ich das dann einfach wieder ein bisschen niedriger oder Du machst es dann doch auch einfach wieder an«. Eine von den Teilnehmern erlebte Behaglichkeitsstörung hat zu meist ein impulsiven handeln zu folge. Dies führt zu Konflikten. Es findet keine Verständigung ein gemeinsam angestrebtes Raumklima statt.

Die fehlende Referenz – T2: »Das ist glaube ich nämlich das Problem, wir haben nämlich keinen Referenzpunkt. Also wenn ich jetzt sagen würde, mir ist zu kalt und wir haben 17,5 Grad, dann würde mir das leichter fallen.« Es gibt kein Artefakt, wie zum Beispiel ein Thermostat, das die Teilnehmer bei der Bewertung des Raums unterstützt. Diese erfolgt alleinig subjektiv und ist beeinflusst durch die jeweilige Aktivität und Bekleidung des Teilnehmers.


Veraenderung der Handlungsweisen mit dem Wohlfuehler

Die Teilnehmer 1 und 2 konnten ihre Handlungsweisen mithilfe des Wohlfühlers verändern. Insbesondere sind beide in einen gemeinsamen Dialog über über ein Wohlfühlklima eingetreten.

Die Konfliktbewältigung – »Vorher war es eher so ein Kampf. Du hast es eher immer ausgedreht. Ich hab es immer aufgedreht. Und seit dem, haben wir eher so eine Regel mit der wir beide so als Kompromiss gut leben können … Es war auf jeden Fall stressfreier dadurch.« (T2) – Der Prototyp hat den vorherigen Konflikt, bedingt durch das unterschiedliche Empfinden des Raumklimas, deeskaliert und so einen Kompromiss ermöglicht.

Der Mediator – »Tendenziell wird Daniel eher sagen: „Ich habe doch gar nicht so lange offen gelassen!“ Und so war es total der gute Mediator. Der hat ganz gut so zwischen uns verhandelt.” (T1) – Die Teilnehmer nehmen den Prototyp als Vermittler war.

Die Einsicht in das unterschiedliche Wärmeempfinden  »Es war ungefähr so, wie hier (unteres Drittel). Ich hab zu Daniel gesagt ich wäre schon damit zufrieden, wenn es in der Mitte wäre. Ich hab nicht gesagt ich möchte es im oberen Drittel haben. Sondern ich hab gesagt mir würde die Mitte schon komplett ausreichen. Das ist quasi so eine Temperatur wo alle mit klar kommen müssten.« (T2) – Der Prototyp bzw. die Balkenanzeige machen das unterschiedliche Wärmeempfinden erst greifbar/sichtbar für beide Teilnehmer. Hierdurch wird die Grundlage geschaffen, überhaupt erst einen Kompromiss aushandeln zu können.

Der Prototyp ersetzt fehlendes Empfinden – »Diese Zeitmessung, die da auftaucht … die ermahnt mich auch schon so. Ich merk das nicht so, weil mir ja nicht so schnell kalt wird. Aber ich würde nicht denken, dass das Fenster schon so lange auf ist, wenn ich es nicht schwarz auf weiß sehen würde, dass es wirklich so ist.« (T1) – Die Anzeige gleicht das fehlende Empfinden für das Wohlbefinden des Anderen aus.

Sich um das Empfinden des Anderen kümmern – »Es gibt die Veränderung, dass ich weniger machen muss, weil der Holger der nach mir meistens aus dem Haus geht, morgens dann schon das gemacht hat (Lüften), was dazu beiträgt, dass ich nicht mehr viel machen muss, weil alles gut ist.« (T1) und »Bei mir ist es anders herum, auch wenn ich dann nach Hause komme und Daniel ist schon da dann muss ich auch nicht mehr so viel machen, weil Daniel schon die Heizung aufgedreht hat.« (T2) – Die Anzeige ermöglicht den Teilnehmern dem gefundenen Kompromiss entsprechend zu handeln. Es ersetzt das fehlende Gespür für das Empfinden des Anderen. Der Prototyp schafft hierdurch erst die Grundlage dem Anderen gerecht werden zu können und die Aufgaben des jeweiligen zu übernehmen.

Die objektiven Argumente in der Diskussion – »Du bist ja jemand, der lüftet ja eher lieber lange. Wenn mir das dann aufgefallen ist, dann sag ich eh: „Daniel guck mal auf die Anzeige, Du lüftest schon eine viertel Stunde oder zwanzig Minuten!”« (T2) und »Das Witzige dabei ist, dass man einfach sagen kann: „Ja, du hast recht! Es ist jetzt schon lange genug offen gewesen!“ Es fühlt sich für mich zwar nicht so an. Aber es steht da und dann ist es auch so. Und das hilft einem dabei. Nicht nur mit der Zeit sondern generell.« (T1) – Die Anzeige der Zeit, die das Fenster bereits geöffnet ist, dient als objektives Argument, den vereinbarten Kompromiss einzuhalten.


Fazit

»Und im Endeffekt haben wir uns dann auf etwas geeinigt, wie wir es machen und so hat das Ding zwischen uns vermittelt. Und jetzt ist das gar nicht mehr so ein großes Thema. ... obwohl man es jetzt bewusster macht. Also das wird irgendwie nicht mehr so besprochen. Es ist präsent, aber nicht mehr so ein Streitthema oder dass man da so großartig drüber reden muss. Sondern man macht es jetzt einfach dauernd richtiger. So ist das für mich.« (T1)

Der Wohlfühler hat den vorherigen Konflikt um das Raumklima deeskaliert. Der Wohlfühler ermöglicht den Teilnehmern Einsicht in das Empfinden des Anderen zu gewinnen. Dies war die Grundlage um einen Kompromiss auszuhandeln sowie seine Handlungen dementsprechend anzupassen, um so sein persönliches Wohlbefinden - im weitesten Sinne - zu bewahren und darüberhinaus, für das Wohlbefinden des Anderen sorgen zu können.

Auch wenn der Wohlfühler bewirkt, dass die Teilnehmer die Handlungen ‚Lüften’ und ‚Heizen’ bewusster wahrnehmen, so führt der nun nicht mehr vorhandene Konflikt dazu, dass der Streitpunkt „Wer lüftet wann wie lange und wie häufig?“ in den Hintergrund rückt.